Beratung

Gute Beratung ist mehr als zu wissen, wo der Schuh drückt.

Oder: Gute Beratung ist das Sein und das Werden verstehen.

Zwei verschiedene Paar Schuhe stehen auf einem Steg, fotografiert von.

Es gibt sie immer wieder, die Momente, in denen wir merken, dass etwas nicht mehr stimmt. Plötzliche Wachstumsphasen, die dazu führen, dass der sprichwörtliche Schuh drückt, weil er einfach nicht mehr passt. So wichtig diese Erkenntnis auch ist, sie allein führt nicht dazu, dass sich etwas ändert. Vielmehr braucht es Bereitschaft, passende Gelegenheiten, Angebote und manchmal auch Beratung, bis wir ein neues Paar Schuhe gefunden und – ganz wichtig – eingelaufen haben. Veränderungen brauchen Zeit, vor allem wenn es um unser Selbst(-Konzept) geht. Etwas, das mit uns gewachsen ist und repräsentiert, was wir gelernt haben, was wir über uns denken, wie wir uns sehen und wie wir von anderen gesehen werden wollen, ändert sich nicht mal eben so. Auch wenn wir deutlich spüren, dass etwas nicht mehr stimmt, etwas nicht mehr im Lot ist.

In der Humanistischen Psychologie gibt es eine sehr schöne Grundannahme. Wir alle verfügen über Selbstheilungs – und Selbstentwicklungskräfte, die unser Streben nach Wachstum unterstützen. Unter guten Bedingungen verläuft dieses Wachstum positiv, dient gleichermaßen der Erhaltung und der Weiterentwicklung unseres Daseins. Der innere Prozess der Selbst-Organisation dient also einerseits dazu die Kontinuität der Orientierung in der Welt, die Sicherung der eigenen Existenz und der eigenen Identität zu gewährleisten und gleichzeitig dazu als Repräsentations- und Orientierungssystem mit den sich verändernden Bedingungen der äußeren und inneren Welt Schritt zu halten und einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des gesamten Organismus und der Persönlichkeit zu leisten. Also: Jedes Mal, wenn ich neue Erfahrungen mache, prüft eine innere Instanz, ob diese der Selbst-Erhaltung oder Selbst-Entfaltung dienen und ob ich – zumindest im Falle der Entfaltung – diese gefahrlos zu lassen kann. Was aber ist dieses Selbst, von dem hier die ganze Zeit die Rede ist? Unser Selbst besteht aus zwei großen Bereichen: unseren eher intuitiven, körperlichen, organismischen Empfindungen („Bauchgefühl“) und dem Selbstbild, das sich aus der Summe der Gedanken und Bewertungen, die wir über uns haben und den Aussagen, die wir über uns selbst treffen, zusammensetzt. Das Selbstideal – wie ich gerne wäre und wie ich mich gemessen an diesem Bild bewerte – ist ebenfalls Teil des Selbstbildes. (Nachzulesen bei Behr, M., u.a. (Hg) (2017). Gespräche hilfreich führen. Band 1: Praxis der Beratung und Psychotherapie. Weinheim Basel, S. 28 ff) 

Vereinfacht ausgedrückt, es gibt das, was wir klar über uns sagen können, und eher diffus, das, was wir manchmal spontan, aus dem Bauch heraus entscheiden, das, was wir mehr ahnen als wissen. „Der Mensch ist inkommensurabel (= nicht messbar, unwägbar), es bleibt immer ein unübersetzbarer Rest. Das betrifft nicht nur den anderen, der weder ganz durchschaut noch erfasst werden kann, sondern auch das eigene Selbst. Sich anzunehmen bedeutet, etwas zu umarmen, dass man nicht fassen kann, (…).“ (Ariadne von Schirach. Ich und du und Müllers Kuh.2020, S. 19) 

Und darum geht es auch in Beratung. Um diesen „unübersetzbaren Rest“ genauso wie um das klare Bild, das ich von mir habe und darum, wie das beides nebeneinander sein kann und wie es gelingen kann, nach und nach das, was wir (noch) nicht fassen können, kleiner werden zu lassen. Beratung heißt, sich gemeinsam nicht nur dem eigenen Sein, sondern immer auch dem eigenen Werden anzunähern, weil „(…) jeder Mensch nicht nur ein Sein, sondern auch ein Werden ist.“  (ebd., S. 9)

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